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Fragt, fragt, sonst seid ihr verloren. Hédi Fried. Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden

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Reaktionen auf Ungerechtigkeiten müssen erfolgen, wenn alles gerade anfängt. Sie hätten in Deutschland Anfang der Dreißigerjahre erfolgen müssen. Nur wenige Jahre danach war es schon zu spät. 

In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten starben zwischen 1941 und 1945 rund 6 Millionen Menschen. Unter ihnen waren Juden und Jüdinnen, Sinti und Roma, Zwangsarbeiter*innen, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung und noch viele andere, die aufgrund ihrer religiösen oder politischen Einstellung oder ihrer körperlichen Merkmale von den Nazis als nicht lebenswert eingestuft wurden. Der Holocaust war ein Verbrechen gegen die Menschheit, ein Völkermord, der zur damaligen Zeit von unfassbar vielen Menschen ignoriert oder gar geleugnet wurde. Bis heute gibt es hartnäckige Leugner*innen des Holocaust, die allen Beweisen zum Trotz daran festhalten, dass es die Ermordung von Menschen in den Konzentrationslagern nicht gegeben hat. Ähnliche Strukturen finden wir ganz aktuell auch bei den Corona-Leugner*innen. Obwohl wir die Pandemie am eigenen Leib zu spüren bekommen, die zahlreichen Opfer direkt vor der Nase haben, gibt es Menschen, die lieber an verschwurbelte Theorien glauben als an die Realität. Deshalb ist es umso wichtiger, diesen Leugner*innen und Schwurbler*innen Fakten entgegenzusetzen. Es ist wichtig, sich Berichte von Menschen anzuhören, die bereits an Corona erkrankt sind oder die jemanden durch die Krankheit verloren haben. Und es ist wichtig, dass wir uns auch mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust die Geschichten derer anhören, die dabei waren. Die ihn überlebt haben. Denn, wie ich neulich bereits in meinem Artikel über Ruth Klüger schrieb, wird bald eine Zeit heranbrechen, in der es keine Zeitzeug*innen von damals mehr gibt. 

Eine dieser Zeitzeuginnen ist auch Hédi Fried, die 1944 mit 22 Jahren nach Auschwitz deportiert wurde und ihre Eltern sofort nach der Ankunft an die Gaskammern verlor. Zusammen mit ihrer Schwester erlebte sie schreckliche Monate voller Hunger und Todesangst. Nach der Befreiung des Lagers durch die Alliierten im Jahr 1945 emigrierten Fried und ihre Schwester nach Schweden. Dort lebt die heute 96-Jährige immer noch. In Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden sind Antworten auf Fragen versammelt, die Fried bei Vorträgen in Schulen und Universitäten gestellt wurden. Es sind Fragen von vornehmlich jungen Menschen, die von Interesse, aber auch Neugier zeugen. Frieds Anliegen war es zeitlebens, Menschen dazu zu ermutigen, ihre Fragen zu stellen und keine Angst vor den Antworten zu haben, weil nur durch das lebendig erhalten der Erinnerungen und Geschehnisse die Möglichkeit besteht, eine Wiederholung der Geschichte zu vermeiden. 

Die Fragen im Buch beziehen sich teils auf Frieds persönliche Geschichte, teils aber auch auf die Hintergründe des Holocaust. Mit sehr klaren, offenen und eindrücklichen Worten schildert Fried den Alltag im Lager, den Umgang der Gefangenen untereinander, die Zeiten der Hoffnungslosigkeit und des allgegenwärtigen Hungers. Einige der Fragen fand ich gerade deshalb sehr interessant, weil ich sie mir so selbst noch nie gestellt habe: Wie war das, wenn man im Lager seine Tage hatte? Wie war es generell für sie als Frau im Lager? Hatte sie Angst vor den männlichen Wachen? Unmissverständlich macht sie klar, warum der Holocaust überhaupt erst passieren konnte und dass es jederzeit wieder genauso geschehen kann, wir eigentlich schon wieder mittendrin stecken in den gefährlichen Strukturen, die dem Hass von damals auch heute wieder den Weg ebnen könnten. Aber auch auf Fragen, die von kindlicher Naivität zeugen, hat Fried kluge und weise Antworten, etwa auf die, was das Schönste an Auschwitz gewesen sei. Das hat mir besonders imponiert: wie Fried, die unvorstellbares Leid und Grauen erlebt hat, den Kindern auf ihre manchmal etwas unsensiblen und unüberlegten Fragen mit Respekt begegnete. Ihren Leitsatz stellt sie auch ganz am Ende selbst noch einmal heraus: es gibt keine dummen Fragen. Fragen sind wichtig, um Verstehen zu können. 

Heute, am internationalen Gedenktag der Opfer des Nationalsozialimus, möchte ich auch dazu aufrufen, ein Buch zur Hand zu nehmen, das sich mit diesem Thema beschäftigt. Auf meinem Blog findet ihr neben diesem Artikel auch andere Bücher über den Holocaust. Die bereits erwähnte Biografie von Ruth Klüger zum Beispiel. Und die Graphic Novel zu Anne Franks Tagebuch

Ich danke dem Verlag für dieses Rezensionsexemplar. Hédi Fried: «Fragen, die mir zum Holocaust gestellt wurden» erschien in der Übersetzung aus dem Schwedischen von Susanne Dahmann 2020 bei DuMont. Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel «Frågor jag fått om Förintelsen» bei Natur & Kultur, Stockholm.


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